Staatsminster Bernd Neumann, MdB

In seinem Grußwort zur Eröffnung der Ausstellung „Die Gerufenen - Deutsches Leben in Mittel- und Osteuropa“ der Stiftung „Zentrum gegen Vertreibungen“ betonte Staatsminister Bernd Neumann, dass die Ausstellung bewusst an das erfolg- und ertragreiche Zusammenleben mit den deutschen Zuwanderern im Baltikum und im Donauraum, in Polen, Litauen und Ungarn, in Böhmen und Mähren sowie an der Wolga im östlichen Europa erinnert. In seiner Rede wies er auch auf darauf hin, dass es der von Deutschland ausgegangene Zweite Weltkrieg war, der zum Bruch der jahrhundertelangen Tradition deutscher Geschichte und Kultur im Osten geführt hat. Ursache und Wirkung unserer eigenen Geschichte müssten klar im Blick behalten werden und in dieser Verantwortung müsse auch in Zukunft zur Aussöhnung beigetragen werden.

Anrede,
 
deutsches Leben und deutsche Kultur haben sich über viele Jahrhunderte auch außerhalb der ehemaligen Reichsterritorien bis weit in den Norden und Süden des östlichen Europas hinein entfaltet. Deutsche Zuwanderer haben im Baltikum und im Donauraum, in Polen, Litauen und Ungarn, in Böhmen und Mähren sowie bis zur Wolga gelebt und gearbeitet. Gerade die Verbindung ihrer mitgebrachten Fähigkeiten und Fertigkeiten, ihrer Zuversicht und ihres Glaubens mit den dortigen ethnischen, religiösen und kulturellen Traditionen haben in diesen Räumen eine ganz eigene Kultur geprägt.
 
Sie haben Anteil an einer Geschichte des Zusammenlebens unter ganz unterschiedlichen regionalen Rahmenbedingungen in einer Zeitspanne von mehr als 800 Jahren.
 
Wer heute in die baltischen Staaten, nach Tschechien und in die Slowakei, nach Rumänien oder nach Russland reist, der stößt vielerorts auf die Spuren und Zeugnisse, die Deutsche dort über Jahrhunderte hinterlassen haben.
Das gilt auch für die Gebiete, die bis 1945 – also bis vor über 60 Jahren – noch zu Deutschland gehörten. Heute Morgen bin ich gerade zurückgekehrt von einer Reise, die auf der Kurischen Nehrung,dem heutigen Litauen, begann, mich dann über Königsberg,heute zu Russland gehörend, führte und die gestern in meiner Geburtsstadt Elbing, heute Polen, endete. Überall findet man Spuren deutscher Kultur, auf die die jetzt politisch Verantwortlichen stolz verweisen.
 
Noch heute lebt eine große Anzahl Deutscher als Minderheiten in den Staaten Nord-, Mittel- und Südosteuropas. Dies darf nicht in Vergessenheit geraten.
 
Ich danke den Verantwortlichen der Stiftung "Zentrum gegen Vertreibungen", namentlich der Vorsitzenden, meiner Kollegin Erika Steinbach, für ihre Initiative zu dieser Ausstellung, die sich einem eher vernachlässigten Kapitel der gemeinsamen europäischen Geschichte zuwendet.
 
Der Schwerpunkt der Ausstellung liegt auf der Zeit vom Mittelalter bis an die Schwelle des 20. Jahrhunderts. Wenn man von den historischen Leistungen und vom Schicksal der Deutschen im östlichen Europa redet, dann muss aber auch das Ende dieser historischen Epoche offen angesprochen werden. Es war der von Deutschland ausgegangene Zweite Weltkrieg, der zum Bruch der jahrhundertelangen Tradition deutscher Geschichte und Kultur im Osten geführt hat. Wir wissen auch, dass das nationalsozialistische Deutschland bereits vor dem Krieg durch Zwangsumsiedlung unter dem Schlagwort "Heim ins Reich" viele Tausende Deutscher ihrer Heimat entrissen hat.
 
Unter den Verbrechen, die in deutschem Namen verübt wurden, hatten unsere östlichen Nachbarn – vor allem Polen, Tschechien sowie die Völker der ehemaligen Sowjetunion und insbesondere deren jüdische Bevölkerungsanteile – unermessliches Leid zu ertragen. Hier ist der traurige Höhepunkt von Intoleranz, Unterdrückung, Terror, Flucht und Vertreibung zu suchen, die in den Folgejahren das Schicksal vieler Millionen Europäer so bitter geprägt haben.
 
Die heutige Ausstellung dagegen wirft einen Blick in die Vergangenheit, in der Deutsche positiv wirkten, und legt ein Zeugnis davon ab, zu welchen Leistungen in Gewerbe, Kunst und Kultur Menschen in der sind, wenn sie gemeinsam für eine bessere Zukunft leben und arbeiten.
 
Seit der politischen Wende von 1989/90 beschäftigen sich viele, gerade auch junge Menschen mit dem gemeinsamen kulturellen Erbe in Europa.

Auch Deutschland trägt dazu bei, Kirchen und Denkmäler in den ehemals deutsch bewohnten Gebieten zu restaurieren und aus ihrem Dornröschenschlaf zu erwecken. Als im vergangenen Jahr die evangelische Stadtpfarrkirche im siebenbürgischen Bistritz durch einen Brand schwer beschädigt wurde, hat Deutschland die rumänischen Bemühungen zur Rettung des Gotteshauses sofort finanziell unterstützt.
 
In dem Maße, in dem sich alle Beteiligten durch die gemeinsame Arbeit an unserem kulturellen Erbe kennen lernen, wächst auch das Verständnis füreinander. Der grenzüberschreitende, dauerhafte und intensive Einsatz für den Erhalt der Erinnerung und des gemeinsamen kulturellen Erbes ist ein aktiver Posten auf dem Weg in die Zukunft. Darum fördert mein Haus sowohl die breitenwirksame Präsentation als auch die Erforschung der deutschen Kultur und Geschichte im östlichen Europa.
 
Allein 2009 beträgt die Bundesförderung auf der Grundlage des § 96 des Bundesvertriebenen- und Flüchtlingsgesetzes fast 18 Mio. Euro, ich hatte sie sofort nach meinem Amtsbeginn deutlich erhöht.
 
Die großen Regionen und Siedlungsgebiete, von Ostpreußen bis Siebenbürgen, werden in den sieben, durch den Bund und die Länder gemeinsam geförderten Landes- und Spezialmuseen dargestellt. Im Sinne der Verständigung und des Austausches ist mir die Arbeit der Kulturreferenten an den Museen besonders wichtig. Durch die Organisation von Reisen und Begegnungen, insbesondere auch für junge Leute, bauen sie Brücken in die Länder des östlichen Europas, die wir heute, angesichts der erweiterten Europäischen Union, dringend brauchen.
 
Darüber hinaus fördert der Bund verschiedene wissenschaftliche Einrichtungen, die sich der Erforschung von Geschichte und Kultur der Deutschen im östlichen Europa widmen. Eines dieser Institute, das Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa in Oldenburg, hat im Jahr 2007 die Anerkennung des Wissenschaftsrates für seine hervorragende wissenschaftliche Arbeit erhalten. Auf dieses Gütesiegel kann das Institut als Ressortforschungseinrichtung des Bundes zu Recht stolz sein.
 
Auch die Enquete-Kommission "Kultur in Deutschland" des Deutschen Bundestages hat 2007 die Aktualität des in § 96 BVFG enthaltenen Auftrags unterstrichen und die Förderpraxis des Bundes positiv gewürdigt. Wir haben also einen parteiübergreifenden Konsens, der es letztendlich auch ermöglicht hat, die Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung" ins Leben zu rufen.

Mit Prof. Dr. Manfred Kittel konnte eine besonders geeignete und erfahrene Persönlichkeit als Direktor gewonnen werden. Zusätzlich wurde ein wissenschaftlicher Beraterkreis ausgewiesener und namhafter Fachleute berufen, der auch Wissenschaftler unserer östlichen Nachbarn berücksichtigt.
 
Nur der offene und um Wahrheit bemühte Dialog über die unterschiedliche historische Erinnerung der Menschen und Nationen in Europa trägt nachhaltig dazu bei, die Wunden der Vergangenheit zu heilen, die durch Diktaturen und Kriege, aber auch durch menschliche Niedertracht, Hass und Misstrauen geschlagen wurden. Die Ausstellung "Die Gerufenen" erinnert an gute Zeiten des Zusammenlebens. Auf ihre Weise leistet sie damit einen Beitrag zu diesem Dialog und zu einem friedlichen Miteinander in Europa. Ich wünsche ihr viel Erfolg und regen Zuspruch!