Deutsche in den Westkarpaten

Ungarn lag im Mittelalter zwischen dem römisch-deutschen Reich im Westen und dem byzantinischen Reich im Südosten. Der erste ungarische König Vaik, mit christlichem Taufnamen Stephan, vollzog im 11. Jahrhundert eine Westorientierung. Er war mit der bayerischen Prinzessin Gisela verheiratet und holte die ersten Deutschen ins Land des westlichen Karpatenbogens. Unter der Auflage, Siedler zu werben, erhielten Adelige Grundbesitz. Sie setzten Lokatoren für die Anwerbung ein. Von einer ersten Einwanderungswelle kann man um 1170 sprechen. Die zweite und größte Einwanderungsbewegung deutscher Bergleute, Handwerker und Händler setzte 1245 ein. Kolonisten aus dem Rheinland, aus Bayern, Schwaben, Sachsen und Böhmen besiedelten die 1241 durch den Mongolensturm verwüsteten Gebiete erneut.

Viele Kolonisten kamen auch aus Ost- und Südeuropa, die Deutschen bildeten jedoch die größte Gruppe. Sie brachten neben ihrem Fachwissen auch Erfahrung in städtischer Organisation mit. In vielen Fällen übernahmen die einheimischen Slawen und Magyaren die importierten, bürgerfreundlichen Markt- und Stadtrechte. Vorbild wurde vor allem das Magdeburger Stadtrecht. Durch den Abbau der reichen Vorkommen an Gold, Silber, Kupfer und Eisenerz erlebte die Wirtschaft der Region im Mittelalter einen gewaltigen Aufschwung.

Anstelle früherer Bezeichnungen wie „Ungarndeutsche“ oder „Deutsche aus dem Kremnitzer Siedlungsgebiet“ wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts der zusammenfassende Begriff „Karpatendeutsche“ geläufig. Dies förderte das Gemeinschaftsgefühl in einer Zeit des wachsenden Nationalismus. 1918 wurde die Tschechoslowakische Republik als einer der Nachfolgestaaten Österreich- Ungarns proklamiert. 1921 waren knapp 140.000 Einwohner des slowakischen Landesteiles Deutsche. Ende der 1940er Jahre zählte man etwa 20.000, in der heutigen Republik Slowakei geht man von rund 10.000 Deutschen aus.

Schwert eines Stadtrichters
Schwert eines Stadtrichters

Miteinander leben in Pressburg / Bratislava / Pozsony

Schützenscheibe und Laden- und Straßenschilder
Schützenscheibe und Laden- und Straßenschilder
Dreisprachiges Straßenschild
Dreisprachiges Straßenschild

Pressburg wurde im 16. Jahrhundert Hauptstadt des „königlichen Ungarn“, da es im Unterschied zu großen Teilen des Reiches nicht von den Türken besetzt war. Einwanderer aus deutschsprachigen Ländern lebten hier als Handwerker, Kaufleute und Weinbauern bereits seit dem 13. Jahrhundert neben Magyaren, Slawen und Juden. Ihr Einfluss ging im 17. Jahrhundert zurück, als die Sonderrechte der Deutschen in Oberungarn abgebaut wurden. Doch Deutsch blieb bis Ende des 19. Jahrhunderts die Umgangssprache in Pressburg, auch im Stadtrat wurde auf Deutsch verhandelt. Der größte Teil der Bevölkerung war mehrsprachig und beherrschte Deutsch, Ungarisch und Slowakisch.

Bis ins 19. Jahrhundert war Nationalität nicht gleichbedeutend mit Staatsangehörigkeit. So sah sich die Mehrheit als loyale Staatsbürger des ungarischen Königreiches (ab 1526 des Habsburger Reiches) und zugleich, je nach Abstammung, als Deutsche, Ungarn, Slowaken oder Juden. Der zunehmende ungarische Nationalismus ab Mitte des 19. Jahrhunderts führte dazu, dass viele Deutsche ihre Namen magyarisierten. Oftmals waren Karrieregründe ausschlaggebend. 1840 wurde Ungarisch alleinige Amtssprache, doch noch bis 1867 war die Dreisprachigkeit bei offiziellen Dokumenten des Landes üblich.

Handel und Wandel in den Städten der Zips

Die Region Zips liegt in der heutigen nordöstlichen Slowakei. Im Mittelalter durchquerte einer der wichtigsten europäischen Handelswege das Gebiet. Unter dem ungarischen König Géza II. wurden im 12. Jahrhundert Familien aus dem übervölkerten Rheinland, aus Sachsen und Schlesien angeworben. Sie machten das Land urbar, trieben die wirtschaftliche Entwicklung voran und bauten die bestehenden Siedlungen zu Städten aus.

Die so genannten Zipser Sachsen erstritten zahlreiche Sonderrechte und Privilegien, wie das besonders ausgedehnte Stapelrecht (1321) in Leutschau. Es legte fest, dass die durchreisenden Händler ihre Waren 15 Tage lang in der Stadt anbieten mussten. Der überwiegend städtische Charakter der deutschen Ansiedlungen in der Zips führte auch zur Entwicklung eines frühen Schulwesens im 14. Jahrhundert. Im Unterschied zu Siebenbürgen, wo die Stadtrechte den Deutschen vorbehalten waren, umfassten sie in der Zips alle Stadtbewohner, gleich welcher Nationalität. Das erklärt auch die große Dichte von Städten in dieser Region, denn es war lediglich ein gewisser Prozentsatz deutscher Bürger erforderlich, um das deutsche Stadtrecht erhalten zu können. In den Zünften dagegen durfte bis 1608 nur Meister werden, wer Deutscher war.

Panorama von Zipser Neudorf
Panorama von Zipser Neudorf

Bergbau im slowakischen Erzgebirge

Stadttor von Schemnitz
Stadttor von Schemnitz
Bergbau in Kremnitz
Bergbau in Kremnitz

Die ersten bayerischen, sächsischen und schlesischen Bergleute ließen sich im 12. Jahrhundert in der heutigen Zentralslowakei nieder. Seit dem 13. Jahrhundert warben die ungarischen Könige Fachleute für den Schacht- und Stollenbau, um wertvolle Erze aus tieferen Lagen zu fördern. Sie kamen aus Kärnten, dem Harz, Böhmen und Mähren. Diese Ansiedler bauten die Dörfer zu den „sieben niederungarischen Bergstädten“ aus. Kupfer-, Gold- und Silberbergminen brachten große Gewinne. Zahlreiche Verbesserungen der Fördertechniken gehen auf deutsche Wissenschaftler und Techniker zurück. Dazu gehörten die „Riesen“ oder „Hundt“ genannten Transportwagen, der Einsatz von Sprengstoff seit dem 17. Jahrhundert sowie Vorrichtungen zum Abpumpen von Wasser aus den Schächten.

Der intensive Erzbergbau in der Region führte in Kremnitz im 14. Jahrhundert zur Einrichtung der Münze des ungarischen Königreiches. Neben Zahlungsmitteln entstanden auch kunstvoll gearbeitete Gedenkmedaillen mit lokalen Motiven, deren Herstellungstechnik auf handwerklichen Traditionen des deutschen Sprachraumes basierte.

Eine neue Blütezeit für die Region leitete die Einrichtung der weltweit ersten Hochschule für Bergbau in Schemnitz (1762) ein, der so genannten Bergakademie. Hier wurden Fachleute für ganz Europa ausgebildet.