Die Deutschbalten

Panorama von Riga
Panorama von Riga
Silberne Reiterfigur
Silberne Reiterfigur

Anfang des 13. Jahrhunderts ließen sich deutsche Kaufleute, Ritter und Geistliche im baltischen Raum nieder. Viele kamen aus Westfalen und Niedersachsen. Sie machten sich Streitigkeiten unter den ansässigen Völkern zunutze. Bis 1237 dominierte der Schwertbrüderorden die Region, der die christliche Mission unterstützte. Dann wurde er dem Deutschen Orden eingegliedert, der nun auch hier die Herrschaft übernahm. Der livländische Ordenszweig behielt aber gegenüber dem Hochmeister in Preußen eine gewisse Autonomie. Auch der Bischof, seit 1253 Erzbischof von Riga, herrschte bis zur Reformation in Teilen der Region als Landesherr.

In die baltischen Regionen – Kurland, Livland, Estland, Insel Ösel – kamen vorwiegend wohlhabende Kaufleute und Geistliche, die per Schiff reisten. Einen nutzbaren Landweg, der ärmeren Ständen eine Zuwanderung erlaubt hätte, gab es nicht. Deutsche Fernhändler siedelten sich in den Hansestädten an und besaßen hier weitreichende Bürgerrechte. Viele adelige Nachkommen der Schwertbrüder betrieben als Großgrundbesitzer erfolgreich Landwirtschaft. Beide Milieus drängten auf die Gründung einer deutschsprachigen Universität in Dorpat. Dort gelangten viele Deutschbalten zu akademischem Ansehen.

Nachdem Teile der Region zwischenzeitlich zu Dänemark, Schweden und Polen gehört hatten, fiel das gesamte Baltikum bis Ende des 18. Jahrhunderts an Russland. Viele Deutschbalten dienten dem Zaren als Beamte und Offiziere. Im 19. Jahrhundert gerieten die Deutschbalten durch den wachsenden Nationalismus in Bedrängnis: Esten und Letten forderten größere Rechte und das Zarenreich drängte auf Russifizierung und Abschaffung der Privilegien der Deutschbalten. Deutschbaltische Grundbesitzer versuchten mit nur mäßigem Erfolg, ihre Position durch die Anwerbung deutscher Landarbeiter aus dem Wolgagebiet und Wolhynien zu stärken. Nach der Bildung der unabhängigen Staaten Estland und Lettland 1918 erhielten die Deutschbalten den Status nationaler Minderheiten.

Der Adel im Baltikum

Die deutschen Auswanderer, die sich im Baltikum angesiedelt hatten, entstammten städtischen und ländlichen Eliten. Deutsche Bauern gelangten nicht in das Baltikum. Auf dem Land dominierten darum adelige deutsche Großgrundbesitzer, während die bäuerliche Bevölkerung aus Esten und Letten bestand. Einige deutschbaltische Adelsgeschlechter können ihre Vorfahren bis auf die Zeit um 1200 zurückverfolgen. Oft handelte es sich um die jüngeren Söhne westfälischer und niedersächsischer Familien und deren Nachkommen. Der Adel war in Ritterschaften organisiert – Korporationen mit strengen Aufnahmekriterien. Sie übten vom 16. bis 19. Jahrhundert die Landesherrschaft aus. Ihre wirtschaftliche Grundlage bildete der Großgrundbesitz. Bis heute künden in Estland und Lettland Hunderte von Herrenhäusern vom ökonomischen Erfolg der baltischen Barone.

Baltische Adelige gelangten auch in Militär und Verwaltung des Zarenreiches in einflussreiche Positionen. Der baltische Adel war nicht bildungsfeindlich: Auffallend ist die große Zahl adeliger Gelehrter. In der Revolution von 1905 wurden viele Gutshäuser zerstört. Durch die Landreform in Estland und Lettland nach 1918 verarmten die meisten Adeligen. Viele wanderten schon damals aus.

Herrenhaus Neu-Riesenberg
Herrenhaus Neu-Riesenberg
Herrenhaus Hummelshof
Herrenhaus Hummelshof

Städtische Wirtschaft im Baltikum

Die Deutschen spielten als städtische Bürger im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit eine zentrale Rolle für die Entwicklung der baltischen Städte. Vor allem die Hansestädte Riga, Reval (Tallinn) und Dorpat (Tartu) betrieben Fernhandel mit Russland und den Städten an der gesamten Ostseeküste. Zu den Handelsgütern zählten u.a. Felle, Getreide, Holz, Wachs, Tuche, Salz und Heringe. In Riga erlangten über Jahrhunderte nur Deutsche das Bürgerrecht. Auch die Kaufmannsgilden nahmen nur Deutsche auf. Die Bürgerschaft zeichnete sich durch hohes soziales Engagement aus, das sich unter anderem in Stiftungen für die Kirche, in der Übernahme von Ehrenämtern und in der Ausrichtung von Festen zeigte. Sie förderte zudem, etwa als Abnehmer von handwerklich hervorragend gearbeiteten Silbergefäßen, die Entwicklung der Zünfte. In Riga tat sich hier insbesondere die bis heute (in Bremen) bestehende „Compagnie der Schwarzen Häupter“ hervor, der ausschließlich unverheiratete Kaufleute angehören durften.

Rathausplatz mit Schwabe- und Schwarzhäupterhaus in Riga
Rathausplatz mit Schwabe- und Schwarzhäupterhaus in Riga
    Rathausplatz mit Schwabe- und Schwarzhäupterhaus in Riga      Ansicht von Reval
Rathausplatz mit Schwabe- und Schwarzhäupterhaus in Riga Ansicht von Reval
Grosse Gilde in Riga
Grosse Gilde in Riga

Die Universität Dorpat

Die Universität Dorpat war von großer geistiger Ausstrahlung auf den baltischen Raum und darüber hinaus. Bis 1893 wurde hier in deutscher Sprache gelehrt. Sie wurde 1632 von König Gustav II. Adolf von Schweden gegründet, als Livland eine schwedische Provinz war. Russisch-schwedische Konflikte führten 1710 zu ihrer Schließung. Die Universität wurde 1802 durch Zar Alexander I. als deutschsprachige Hochschule neu gegründet. Sie stand unter russischer Verwaltung, doch rund die Hälfte der Professoren stammte aus dem Deutschen Reich, etwa 40 Prozent waren Deutschbalten. Von den 30 deutschsprachigen Universitäten, die um 1875 bestanden, war Dorpat die elftgrößte. Zahlreiche an ihr wirkende Gelehrte genossen hohes Ansehen.

Mit der zwischen 1882 und 1893 erfolgenden Russifizierung endete das Goldene Zeitalter der Universität. Die meisten Professoren und viele Studenten wanderten nach Deutschland ab. Lediglich die protestantische Theologie durfte noch bis 1916 auf Deutsch lehren, da russisch-orthodoxe Geistliche den Einfluss der protestantischen Lehre auf ihre Kirche fürchteten. Heute hält die estnische Staatsuniversität Tartu (Dorpat) auch die Erinnerung an ihr deutsches kulturelles Erbe lebendig.

Corporationsbuch und Mensurdegen
Corporationsbuch und Mensurdegen
Dorpat, Rathausplatz
Dorpat, Rathausplatz