Rechtlicher Rahmen für die Integration: Das Bundesvertriebenengesetz

Die rechtliche Grundlage für die notwendige Eingliederung der Vertriebenen in die Nachkriegsgesellschaft bildete ein Bündel von Gesetzen. Das Bundesvertriebenengesetz vom 19. Mai 1953 ist dabei das zentrale Gesetz. Es enthält Regelungen zum Status der Vertriebenen, der Sowjetzonenflüchtlinge und aktuell der Spätaussiedler. Zu den Vertriebenen gehören auch diejenigen, die ab 1933 aus Gründen der Rasse, des Glaubens, der Weltanschauung oder wegen politischer Gegnerschaft nationalsozialistischen Maßnahmen ausgesetzt waren und in diesem Zusammenhang ihren Wohnsitz verloren haben.

Im Bundesvertriebenengesetz werden bis heute Bund und Länder verpflichtet, das kulturelle und historische Erbe der ehemaligen deutschen Ostprovinzen zu sichern und zu bewahren und die wissenschaftliche Forschung zu unterstützen. Es ist der rechtliche Rahmen für die Aufnahme von Spätaussiedlern und seit über 55 Jahren Ausdruck der Verantwortung Deutschlands für die Vertriebenen und Spätaussiedler.

Textausgabe des Bundesvertriebenengesetzes, 1953.

Textausgabe des Bundesvertriebenengesetzes, 1953. Die in der Beck'schen Verlagsbuchhandlung erschienene Textausgabe des Bundesvertriebenengesetzes enthielt noch andere, für das Flüchtlingsrecht relevante Gesetzestexte, so das Reichssiedlungsgesetz, das Umsiedlungsgesetz, das Flüchtlingsnotleistungsgesetz sowie das Notaufnahmegesetz.

© Deutsches Historisches Museum, Berlin

Deutsche Kennkarte, 17. Juli 1950. Dieses vom Landratsamt Pfarrkirchen ausgestellte Dokument diente als Ausweisersatz. Die Inhaberin ist in der ehemaligen Region Elbogen im Sudetenland geboren. Kennkarten wie diese wurden als provisorische "Flüchtlingsausweise" eingesetzt.

© Privatbesitz Dr. Gunnar Digutsch

Deutsche Kennkarte, 17. Juli 1950. Dieses vom Landratsamt Pfarrkirchen ausgestellte Dokument diente als Ausweisersatz. Die Inhaberin ist in der ehemaligen Region Elbogen im Sudetenland geboren. Kennkarten wie diese wurden als provisorische "Flüchtlingsausweise" eingesetzt.

© Privatbesitz Dr. Gunnar Digutsch

"Vertriebenenausweis" von Maria Anna Hegedüs, geb. Grassl, ausgestellt am 11. Juli 1955. Flüchtlingen und Vertriebenen wurde auf Grund des Bundesvertriebenengesetzes ein besonderer Status zuerkannt (Vertriebenenausweis A und B), der zu bestimmten staatlichen Leistungen berechtigte. Flüchtlinge aus der SBZ/DDR wurden durch die Einführung eines Vertriebenenausweises C in das Gesetz einbezogen.

© Privatbesitz Dr. Gunnar Digutsch

"Vertriebenenausweis" von Maria Anna Hegedüs, geb. Grassl, ausgestellt am 11. Juli 1955. Flüchtlingen und Vertriebenen wurde auf Grund des Bundesvertriebenengesetzes ein besonderer Status zuerkannt (Vertriebenenausweis A und B), der zu bestimmten staatlichen Leistungen berechtigte. Flüchtlinge aus der SBZ/DDR wurden durch die Einführung eines Vertriebenenausweises C in das Gesetz einbezogen.

© Privatbesitz Dr. Gunnar Digutsch

"Flüchtlingsausweis" für einen "Umsiedler", Sowjetische Besatzungszone 1945.

© Privatbesitz Dr. Gunnar Digutsch

"Flüchtlingsausweis" für einen "Umsiedler", Sowjetische Besatzungszone 1945.

© Privatbesitz Dr. Gunnar Digutsch

Der Lastenausgleich

"Wegweiser durch den Lastenausgleich", um 1955

"Wegweiser durch den Lastenausgleich", um 1955. Informationsbroschüre über den Lastenausgleich für Aussiedler und Vertriebene aus den ehemaligen deutschen Gebieten in Polen und der Tschechoslowakei.

© Deutsches Historisches Museum, Berlin

Aufgrund der Umverteilung von Grund und Boden im Zuge der Bodenreform hatten Vertriebene in der DDR wirtschaftlich scheinbar bessere Startbedingungen als im Westen Deutschlands. Sie wurden jedoch nicht als Vertriebene anerkannt und durften sich gesellschaftlich nicht organisieren. Die DDR-Propaganda feierte die Sowjetunion als "Befreier" und die östlichen Nachbarn als "Bruderländer". "Umsiedler" konnten sich daher nicht als durch die Rote Armee, durch Polen oder Tschechen "vertrieben" bezeichnen. Die Vertreibung wurde vielmehr im Kontext "antifaschistischer" Vergangenheitspolitik als gerechtfertigt betrachtet.

In der frühen DDR wurden vor allem in den ländlichen Gebieten Hilfs- und Kreditprogramme bereitgestellt. Mecklenburg-Vorpommern bildete einen Ansiedlungsschwerpunkt von Vertriebenen. Die sozialistische Umsiedlerpolitik fand im Gesetz von 1950, das bis 1953 galt, ihren Höhe- und Schlusspunkt. Danach lautete der offizielle Sprachgebrauch "ehemalige Umsiedler". Die Zwangskollektivierungen und die Bildung von landwirtschaftlichen Genossenschaften um 1960 wurden von vielen "Neusiedlern" als "zweite Vertreibung" empfunden. Ihr Anteil unter jenen, die vor dem Mauerbau nach Westdeutschland oder West-Berlin flüchteten, war daher überdurchschnittlich hoch.

Integration und sozialer Aufstieg waren in der DDR möglich, sofern man sich politisch anpasste. Nach der raschen Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze durch die DDR im Görlitzer Abkommen von 1950 waren Erinnerungen an die alte Heimat von offizieller Seite unerwünscht und auch für die restliche Gesellschaft mit dem Verdacht des Revanchismus belegt. Nach der Wiedervereinigung erhielten die Vertriebenen aus der früheren DDR ab 1995 eine Zuwendung in Höhe von 4.000 DM.

Anschlagtafeln mit der Ankündigung des Soforthilfeprogramms, 22. August 1949. Interessierte stehen vor den Verlautbarungen zum Soforthilfeprogramm für Flüchtlinge und Vertriebene. In den Lebensmittelkartenstellen in München konnte man Anträge für das Programm bekommen.

© Süddeutsche Zeitung Photo / Foto: SZ Photo

Demonstration von Vertriebenen in Bonn, 18. Februar 1951. Vertriebene fordern einen gerechten Lastenausgleich.

© Süddeutsche Zeitung Photo / Foto: SZ Photo

Demonstration von Heimatvertriebenen in Bonn, 18. Februar 1951. Etwa 20.000 Heimatvertriebene forderten auf dem Bonner Marktplatz einen gerechteren Ausgleich der Lasten und demonstrierten gegen den Regierungsentwurf zum Lastenausgleichsgesetz. Zu diesem Anlass reisten sie aus der ganzen Bundesrepublik mit Omnibussen nach Bonn an.

© Süddeutsche Zeitung Photo / Foto: AP

Der Bund der Vertriebenen

Als gemeinsame Interessenvertretung entstand der Bund der Vertriebenen (BdV) erst 1957. Er gründete sich als Dachverband von zwanzig Landsmannschaften und den Landesverbänden. Bis 1948 wirkte das alliierte Koalitionsverbot der Gründung eines Gesamtverbandes entgegen. Doch schon früh entstanden lokale Initiativen für Vertriebene, oft unter dem Dach der Kirchen. 

Wie in allen gesellschaftlichen Bereichen der jungen Bundesrepublik so auch in den Organisationen der Vertriebenen gab es Personen, die durch das NS-Regime geprägt oder sogar Teil des Machtapparates gewesen waren und sich nun in den neuen Institutionen betätigten. Vom Nationalsozialismus geprägtes sowie extremistisches Gedankengut, gleich welcher Couleur, fand zu keiner Zeit Eingang in die Verbandspolitik des BdV. Die führenden Vertreter des BdV kamen aus allen demokratischen Parteien. Alle Präsidenten waren Mitglieder des Deutschen Bundestages. 

Mit der Ostpolitik Willy Brandts kam es zu einer tiefgreifenden Entsolidarisierung weiter Teile von Politik und Gesellschaft mit den Anliegen der Vertriebenen. Seit dieser Zeit war das Verhältnis des BdV zum sozial-liberalen Lager gespalten. Teile der politischen "Linken" der Bundesrepublik übernahmen in dieser Phase nahezu ungefiltert die Parolen der DDR-Propaganda gegen den BdV. Erst geraume Zeit nach dem Fall der Mauer begann sich das Verhältnis wieder zu normalisieren. 

Der BdV hat bis heute seine Aufgabe in der fachkundigen Begleitung von Gesetzgebung und Verwaltung auf allen die Vertriebenen, Aussiedler und Spätaussiedler betreffenden Rechtsgebieten. Einen besonderen Schwerpunkt bildet die Pflege und Bewahrung des kulturellen Erbes und die soziale Beratung und Betreuung von Spätaussiedlern und Migranten durch die Landsmannschaften und Landesverbände. Darüber hinaus bildet der BdV mit seinen Mitgliedsverbänden eine wichtige Brücke zu den Nachbarländern.

 Erika Steinbach MdB spricht auf dem "Tag der Heimat" 2009 im Berliner Internationalen Congress Centrum (ICC). Das Motto lautete "Wahrheit und Gerechtigkeit - Ein starkes Europa". © Bund der Vertriebenen

Erika Steinbach MdB spricht auf dem "Tag der Heimat" 2009 im Berliner Internationalen Congress Centrum (ICC). Das Motto lautete "Wahrheit und Gerechtigkeit - Ein starkes Europa".

© Bund der Vertriebenen

Gründung des Hessischen Landesverbandes der Heimatvertriebenen, 17. Dezember 1948. Nach der Gründungszeremonie im "Café Oper" in Frankfurt am Main wurde dieses Gruppenfoto der Gründungsmitglieder aufgenommen.

© Hessisches Hauptstaatsarchiv, HHStAW Abt. 3008 - Bildersammlung

Ernst Reuter, Oberbürgermeister der Westsektoren Berlins, hält zum "Tag der Heimat" am 5. August 1951 in der Berliner Waldbühne eine Rede.

© ullstein bild

Auf dem "Tag der Heimat" in der Berliner Waldbühne am 4.September 1960 spricht der Regierende Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt, zu den Delegationen der Heimatvertriebenen.

© ullstein bild

Kundgebung des Bundes der Vertriebenen in Bonn, Mai 1966.

© Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Recht auf die Heimat

Die Worte Heimatliebe, Heimatland oder Heimaterde umschreiben Heimat als einen Ort der Geborgenheit, ja der Sehnsucht. Gewaltsamer Heimatverlust wirkt traumatisierend nach. Die Massenvertreibungen im 20. Jahrhundert haben "Heimat" zu einem politisch hoch aufgeladenen Thema gemacht.

Nach dem Zweiten Weltkrieg stießen die deutschen Vertriebenen mit ihrer "Charta der deutschen Heimatvertriebenen" vom 5. August 1950 eine Diskussion um ein Menschenrecht auf die Heimat an.

Schon in Art. 13 Abs. 2 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 heißt es: "Jeder hat das Recht, jedes Land, einschließlich seines eigenen, zu verlassen und in sein Land zurückzukehren". Vertreibungen und zwangsweise Umsiedlungen von Menschen und Volksgruppen sind nach allgemeinem Völkerrecht als völker- und menschenrechtswidrig international anerkannt. Aus dem völkerrechtlichen Vertreibungsverbot und dem Selbstbestimmungsrecht resultiert das Recht auf die Heimat. Die UNO hat in verschiedenen Resolutionen zum Palästina- und Zypernkonflikt unter anderem das Recht, in Sicherheit und Würde in der Heimat zu verbleiben, und das Recht von Flüchtlingen und Vertriebenen, in die Heimat zurückzukehren, formuliert.

José Ayala Lasso

"Das Recht, aus der angestammten Heimat nicht vertrieben zu werden, ist ein fundamentales Menschenrecht."

José Ayala Lasso (*1932)
Grußbotschaft, in: Dieter Blumenwitz: 50 Jahre Flucht, Deportation, Vertreibung. Dokumentation der Gedenkstunde in der Paulskirche zu Frankfurt am Main am 28. Mai 1995, Bonn 1995.
José Ayala Lasso war der erste UN-Hochkommissar für Menschenrechte (1994-1997).

Otto Kimminich

"Das Recht auf die Heimat ist nicht nur das wichtigste der kollektiven Menschenrechte, sondern schafft auch die Voraussetzung für den Genuß vieler individueller Menschenrechte."

Otto Kimminich (1932-1997) 
Das Recht auf die Heimat, Bonn 1989.
Prof. Dr. jur. Otto Kimminich war Professor für Völkerrecht.

Papst Benedikt XVI

"Heimat hat geographische, kulturelle, geistliche und religiöse Dimensionen. Sie gehört zum Menschen und seiner Geschichte und darf daher niemandem gewaltsam genommen werden. Ideologien, die Vertreibungen fordern oder rechtfertigen, richten sich gegen die Würde des Menschen."

Papst Benedikt XVI. 
Grußbotschaft zum Tag der Heimat des Bundes der Vertriebenen, Berlin, 6. August 2005.

Marion Gräfin Dönhoff

"Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß der höchste Grad der Liebe zur Heimat dadurch dokumentiert wird, daß man sich in Haß verrennt gegen diejenigen, die sie in Besitz genommen haben, und daß man jene verleumdet, die einer Versöhnung zustimmen. [...] Vielleicht ist dies der höchste Grad der Liebe: zu lieben, ohne zu besitzen."

Marion Gräfin Dönhoff (1909-2002) aus Ostpreußen
Kindheit in Ostpreußen, Berlin 1988.
Marion Gräfin Dönhoff war Publizistin sowie Chefredakteurin, später Mitherausgeberin der Wochenzeitung DIE ZEIT.

Erich Ollenhauer, Willy Brandt, Herbert Wehner

"Verzicht ist Verrat, wer wollte das bestreiten: 100 Jahre SPD heißt vor allem 100 Jahre Kampf für das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Das Recht auf die Heimat kann man nicht für ein Linsengericht verhökern ? niemals darf hinter dem Rücken der aus ihrer Heimat vertriebenen oder geflüchteten Landsleute Schindluder getrieben werden."

Erich Ollenhauer, Willy Brandt, Herbert Wehner
Auszug aus dem Telegramm der SPD zum Deutschlandtreffen der Schlesier 1963 in Köln.

Günter Grass

"Was wir Heimat nennen, ist uns erlebbarer als die bloßen Begriffe Vaterland oder Nation, deshalb haben so viele, gewiß nicht alle, doch mit dem Älterwerden eine wachsende Zahl von Menschen den Wunsch, sozusagen zu Haus unter die Erde zu kommen."

Günter Grass (*1927) aus Danzig
Unkenrufe, Göttingen 1992.
Günter Grass ist deutscher Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger.