Deutsche in Bessarabien, im Schwarzmeer- und im Wolgagebiet

Die russische Zarin Katharina II. erließ 1763 ein Einwanderungsmanifest, das deutsche Ansiedlungswillige mit Privilegien wie Landzuteilung, Aufbauhilfen, lokaler Selbstverwaltung, freier Religionsausübung und Befreiung vom Militärdienst ins Zarenreich lockte. Bis 1775 folgten etwa 30.000 Hessen der Einladung ins Wolgagebiet, seit den 1780er Jahren siedelten vor allem Südwestdeutsche im Schwarzmeergebiet und in Noworussia (Neurussland, heute südliche Ukraine). Danziger Mennoniten wanderten in das Chortiza-Gebiet aus.

Von Odessa über die Steppenlandschaft des Schwarzmeerbogens und die Krimhalbinsel bis hin zum Kaukasus bildeten die deutschen Einwanderer Kolonien, in denen sie mit verschiedensten Agrartechnologien das Land erschlossen und in großem Maßstab Viehzucht betrieben. Auch in Transkaukasien, Sibirien und Mittelasien entstanden zahlreiche deutsche Tochterkolonien.

Nach dem Sieg Russlands über die Osmanen 1812 rief der Enkel Katharinas, Zar Alexander I., deutsche Siedler nach Bessarabien. Die Einwanderer stammten überwiegend aus Schwaben, aber auch aus Preußen. Auswanderungsgründe waren u.a. wirtschaftliche Not, die napoleonische Fremdherrschaft und der Wunsch nach freier Religionsausübung. Auf einfach gebauten Flussschiffen, den so genannten Ulmer Schachteln, erreichte seit 1816/17 der Großteil der Auswanderer aus Süddeutschland das Land am Donaudelta. Ein weiterer Siedlerstrom kam zwischen 1814 und 1816 aus Preußen über Warschau auf dem Landweg. Bis 1914 prosperierten im Schwarzmeergebiet Landwirtschaft und Bildung in Gemeinwesen, die von einer protestantisch-pietistischen Grundhaltung geprägt waren.

Die Zwangskollektivierungen der 1920er und 1930er Jahre, die Umsiedlungen 1939 und die Deportationen von 1941 und nach 1945 beendeten die Geschichte der deutschen Siedler in der Südukraine.

Hof mit Kronshäuschen (links)
Hof mit Kronshäuschen (links)
Fauna Bessarabiens
Fauna Bessarabiens
Kopitzen machen
Kopitzen machen
Stapeln von Brennmist
Stapeln von Brennmist

Landwirtschaft im Schwarzmeerbogen

Neben der fruchtbaren Schwarzerde waren das landwirtschaftlichtechnische Know-How und die fortlaufend entwickelten Anbaumethoden ausschlaggebend für das Prosperieren der deutschen Gemeinden. Die Drei-Felder-Wirtschaft, sowie die dem Klima angepasste Pferde- und Milchviehzucht, neue Dreschmethoden, der Einsatz von Pferden statt Ochsen als Zugtiere, die Entwicklung von neuen Landmaschinen wie leichten Einpflug-, Zweipflug- und Dreipflugscharen sowie eine konsequente Schädlingsbekämpfung ermöglichten Getreideanbau, Viehzucht und Weinanbau. Getreide- und Ölmühlen sowie Dachziegelfabriken entstanden.

In Bessarabien und am Fuße des Kleinen Kaukasus etablierten deutsche Kolonisten den Weinbau. Neben dem Import von Rebstöcken bemühten sie sich intensiv um einheimische Rebsorten (z.B. Tauris), da die Qualität des Weines wesentlich von der klimatischen Anpassung der Reben abhing. Wein- und Spirituosenhändler wie Christopher Vohrer oder Christian Hummel bauten verschiedene Rebsorten an. Den kaukasischen Wein verkauften sie bis nach St. Petersburg, nach Moskau und in das ferne sibirische Tomsk, wo er starken Absatz fand.

Weinbergarbeiter im Kaukasus
Weinbergarbeiter im Kaukasus
Weinkeller im Kaukasus
Weinkeller im Kaukasus
Weinetikett Firma Vohrer
Weinetikett Firma Vohrer

Religion und Bildung in Bessarabien

Siedler verschiedenster Glaubensgemeinschaften kamen in den Schwarzmeerbogen: Katholiken, Protestanten und Mennoniten. Die von schwäbischen Pietisten verkündete chiliastische Vision eines „Tausendjährigen Friedensreiches“, welches im Kaukasus in der Nähe des Berges Ararat errichtet werden sollte, und die Unterdrückung der Glaubensausübung daheim waren die wichtigsten Motive zur Auswanderung aus Südwestdeutschland. Den ersten protestantischen Separatistengemeinschaften folgten Anhänger von Charismatikern wie dem katholischen Augsburger Bußprediger Ignaz Lindl.

Das Gemeindeleben in den Siedlungen fußte auf religiösen Grundsätzen. Die Geistlichen genossen hohe Autorität und besetzten politische Ämter. In Bessarabien wurden karitative und soziale Einrichtungen wie das Alexanderasyl in Sarata ins Leben gerufen. Die für die kleinen Dörfer relativ großen Kirchenbauten (Teplitz, Arcis, Tarutino) waren Landmarken in der Steppenlandschaft. Früh gingen die deutschen Siedler an den Ausbau eines flächendeckenden, strukturierten Bildungswesens. Die Kirchen- Gemeindeschulen dienten sowohl der religiösen Zusammenkunft als auch dem Unterricht. Die erste staatlich anerkannte höhere Lehrerbildungsanstalt wurde 1844 in Sarata gegründet.

Modell des Gymnasiums in Tarutino
Modell des Gymnasiums in Tarutino
Modell der Kirche von Sarata
Modell der Kirche von Sarata

Wirtschaftlicher Aufstieg und städtisches Leben

Die deutschen Kolonisten auf der Krim und im Schwarzmeerbogen erreichten in einer relativ kurzen Zeit wirtschaftliche Erfolge und kamen oftmals zu Wohlstand. Nach der russischen Staatsreform von 1871 konnten viele Pächter ihre Ländereien erwerben. Im Laufe des 19. Jahrhunderts stieg der Umfang des Grundbesitzes der Deutschen von etwa 640.000 auf etwa 4,2 Millionen Hektar. Deutsche waren häufig Initiatoren industrieller Produktion, arbeiteten in den städtischen Finanzverwaltungen oder gründeten die ersten Fabriken, Brauereien und Banken. Ein Beispiel dafür ist der Landmaschinenfabrikant Johann Höhn, der mit seinem eigens entwickelten Kolonistenpflug erfolgreich war. Vor allem in den Zentren Odessa, Cherson und Simferopol gelang den Nachfahren der Siedler der soziale Aufstieg. Sie nahmen wichtige Positionen in Finanzwesen, Architektur, Verwaltung und Politik ein und prägten mit ihrem bürgerlichen Lebensstil das Kulturleben der Städte nach westeuropäischem Vorbild.

St. Paul in Odessa
St. Paul in Odessa
Johann Höhn (1854-1938)
Johann Höhn (1854-1938)
Jubiläumsschrift Firma Höhn
Jubiläumsschrift Firma Höhn

Askania Nova

Panorama der Kolonie Askania Nova
Panorama der Kolonie Askania Nova
Schafbock
Schafbock

1828 erwarb Ferdinand Friedrich, Herzog von Anhalt-Köthen, vom Zaren Nikolaus I. mehr als 50.000 Hektar Steppenland. 1828 machten sich 25 deutsche Auswanderer mit etwa 3.000 Schafen auf dem Landweg nach Südrussland auf, in das nach den Askaniern benannte neue Land nördlich der Krim. Doch die Schafzucht brachte nicht den erwünschten Gewinn. 1856 kaufte der in der Region ansässige Deutsche Friedrich Fein das Land samt Vieh an. Schaf- und Pferdezucht entwickelten sich gut. Friedrich Falz-Fein, der Enkel, errichtete neben dem Nutzbetrieb ein „Tierparadies“ sowie einen Landschaftspark und unternahm Kreuzungsversuche von Wild- und Haustieren (z.B. das Zebroid). Ebenso siedelte er das Przewalski-Wildpferd wieder an. Sein Sohn Woldemar von Falz-Fein schrieb die Familiengeschichte in den 1930er Jahren auf. Die Nachfahren der Gründer von Askania Nova, der Erbprinz Eduard von Anhalt und der Baron Eduard von Falz-Fein fördern bis heute die Erhaltung des Reservats.

Askania Nova war in den 1920er Jahren berühmt für die Entwicklung der künstlichen Befruchtung bei Schafen. Alle Schafe der sowjetischen Tierzuchtanstalt stammten von den Auswandererschafen ab.

Wolgagebiet

Die deutschen Siedler, die sich seit 1763 an der mittleren Wolga niederließen, bildeten einen bedeutenden Teil der Russlanddeutschen. Ihre Ansiedlung gestaltete sich anfangs sehr schwierig. Durch die Übernahme des russischen Systems der Erbteilung kam es zu einer Zersplitterung des Landbesitzes und zur Entstehung von sehr kleinen Höfen, die nur mit Mühe rentabel bewirtschaftet werden konnten. Viele wichen auf den Getreideanbau und -handel aus. Das Mühlenwesen und die Etablierung einer Textilindustrie bildeten weitere Wirtschaftszweige. Der Kinderreichtum der Kolonisten führte zur Bildung von Tochterkolonien bis nach Sibirien.

Von 1924 bis 1941 bestand an der Wolga eine Deutsche Autonome Sowjetrepublik mit deutscher und russischer Amtssprache. Von den etwa 600.000 Bewohnern waren zwei Drittel deutschstämmig. Die Republik stieß auf Interesse bei deutschen, zur politischen Linken zählenden „Polittouristen“. Sie fand ein Ende, als mit dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in die Sowjetunion 1941 die Wolgadeutschen auf Befehl Stalins nach Kasachstan und Sibirien deportiert wurden.

Mühle in der Wolgasteppe
Mühle in der Wolgasteppe
Herstellung von Sarpinkastoff
Herstellung von Sarpinkastoff
Markttag in Balzer
Markttag in Balzer