Die Verteilung der Vertriebenen auf die Besatzungszonen

Für das Jahr 1950 gibt es statistische Angaben für die absoluten und prozentualen Zahlen der Flüchtlinge und Vertriebenen, die nach Bundesländern in der Bundesrepublik und nach Ländern in der DDR geordnet werden können. Den prozentual höchsten Anteil an Flüchtlingen hatte danach das agrarisch geprägte Mecklenburg mit 41,7 Prozent, gefolgt vom ebenfalls ländlichen Schleswig-Holstein mit 38,2 Prozent. Bayern hatte immerhin 23,5 Prozent Neubürger, während das Land Rheinland-Pfalz mit nur 6 Prozent den niedrigsten Anteil aufwies. In absoluten Zahlen erhielt Bayern mit fast zwei Millionen Vertriebenen den größten Bevölkerungszuwachs, gefolgt von Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, wo jeweils über 1,8 bzw. 1,3 Millionen Menschen eine neue Heimat fanden.

 Die Verteilung der Vertriebenen auf die Besatzungszonen © Grafik: Stefan Walter, 2011

Die Verteilung der Vertriebenen auf die Besatzungszonen

© Grafik: Stefan Walter, 2011

Von der Ankunft zum Aufschwung

Neubausiedlung in Deutschland, 1945-1950.
Neubausiedlung in Deutschland, 1945-1950. Nach der Währungsreform brach eine wahre Bauwut in Westdeutschland aus. Die Nissenhütten aus Wellblech verschwanden, die ersten Reihenhaussiedlungen entstanden. © Süddeutsche Zeitung Photo / Foto: SZ Photo

Die ersten Jahre nach der Ankunft waren bestimmt von Elend und Improvisation. Für die meisten Betroffenen begann der neue Lebensabschnitt im Durchgangs- oder Aufnahmelager. Die hier eintreffenden Menschen waren meist schwer traumatisiert durch den Verlust von Heimat, Angehörigen und Besitz, durch Gewalt, Erlebnisse vor und während der Flucht oder Vertreibung, gedemütigt durch sozialen Abstieg und eine herablassende bis feindselige Behandlung in der neuen Umgebung. Was blieb, war die Erleichterung, nicht mehr an Leib und Leben bedroht zu sein.

Auf das Lager, über Jahre der Aufenthaltsort für Hunderttausende, folgte häufig die Zwangseinquartierung in Wohnungen oder Häuser von Einheimischen. Diese standen den ungebetenen Gästen oft misstrauisch, ja feindselig gegenüber. 

Zu den Voraussetzungen für den rasanten Wiederaufbau Deutschlands und des lang anhaltenden Aufschwunges zählten Menschen, die bereit waren, zu geringen Löhnen und weit unter ihrer Qualifikation hart zu arbeiten. Dies galt für Vertriebene im besonders hohen Maße. Sie hatten wesentlichen Anteil am "Wirtschaftswunder". Umgekehrt profitierten die Vertriebenen vom Wirtschaftsaufschwung, wenn auch in geringerem Umfang als die alteingesessene Bevölkerung. Aber sie nutzten ganz überwiegend alle Möglichkeiten, nicht mehr von staatlicher Fürsorge abhängig zu bleiben und wirtschaftlich wieder auf eigenen Füßen zu stehen.

Die Ankunft

Die Flüchtlinge und Vertriebenen hatten oft kaum mehr als die nackte Existenz, im besten Falle einige Koffer Fluchtgepäck gerettet. Sie kamen per Eisenbahn, mit Pferdefuhrwerken, zu Fuß oder bis Kriegsende per Schiff über die Ostsee. Die Regierung Dönitz zögerte die Kapitulation hinaus, um noch möglichst viele Flüchtlinge auf dem Seeweg zu evakuieren. 

Die Ankunft erfolgte in mehreren Wellen: Bis Kriegsende kamen die vor der Roten Armee oder vor Titos Partisanen aus Jugoslawien Geflohenen, unmittelbar danach die Opfer von "wilden" Vertreibungen vor allem durch Polen und Tschechen. Paradoxerweise setzte nach der Potsdamer Konferenz, auf der die endgültige Vertreibung der Deutschen aus Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn verkündet worden war, zunächst ein Abebben der Vertreibungen ein. Die Deutschen wurden bis zu ihrer Abschiebung zu Zwangsarbeit herangezogen. Danach wurden sie in menschenunwürdiger, aber halbwegs geregelter Form über Sammellager, meist in Güterzügen, nach Deutschland transportiert. Die USA erreichten bei der tschechoslowakischen Regierung kleine Zugeständnisse beim Ablauf der Vertreibung. So konnten sich deutsche Behörden und karitative Organisationen 1946 und 1947 notdürftig auf den Ansturm vorbereiten. Die bayerischen Behörden etwa erhielten über die USA nur ungefähre Zahlen und kurzfristig Ankunftsdaten der Sudetendeutschen.

Matratzenlager für Vertriebene in einer Turnhalle in der Amerikanischen Besatzungszone, 1945.

© Sudetendeutsches Archiv München

Ein Flüchtlingsehepaar wartet mit seinem Gepäck auf dem Kieler Hauptbahnhof, 31. Januar 1946.

© Stadtarchiv Kiel, 2.1 Städtische Lichtbildstelle

Ausschiffung ostpreußischer Vertriebener, Travemünde 1946. Auch nach Kriegsende gelangten Deutsche über die Ostsee nach Schleswig-Holstein. Im Rahmen der Aktion "Schwalbe" kamen zwischen Februar und November 1946 215.000 Menschen aus den unter polnischer Verwaltung stehenden, ehemaligen deutschen Ostgebieten in das Land. Hier gehen Vertriebene in Lübeck-Travemünde, assistiert von Rot-Kreuz-Schwestern, von Bord des Flüchtlingsschiffes "Isar". Im Vordergrund ein Soldat der britischen Besatzungstruppen.

© Stadtarchiv Kiel, 1.2. Fotosammlung

Heimatvertriebene verlassen das Flüchtlingsschiff "Isar", 1946. Die in Lübeck-Travemünde Angekommenen wurden mitsamt ihrer bescheidenen Habe auf LKWs verladen und von dort über die Durchgangslager Bad Segeberg und Pöppendorf auf Schleswig-Holstein verteilt. Die LKWs tragen die Aufschrift "Influx", den Codenamen für einen Bevölkerungstransfer zwischen der sowjetischen und der britischen Zone, der zwischen September 1945 und November 1946 erfolgte.

© Landesarchiv Schleswig-Holstein / Signatur: Abt. 2003.1 Nr. 2524

Lager

Das Lager als "Verräumlichung des Ausnahmezustands" war ein Paradigma des 20. Jahrhunderts. Vernichtungsabsicht und Willkürherrschaft waren genuine Merkmale totalitärer Konzentrationslager. Flüchtlings- und Durchgangslager im Nachkriegsdeutschland hingegen boten erste Stationen des Überlebens.

Die Umnutzung von bestehenden Lagern im Nachkriegsdeutschland war der logistischen Notwendigkeit geschuldet. Viele Flüchtlingslager hatten vor 1945 als Lager für Zwangsarbeiter, als KZ-Außenlager oder Straflager, dann zur Internierung von Nationalsozialisten gedient. So wurden z.B. ganze Werksgelände der Dynamit AG in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Bayern samt Bunkeranlagen nun zu Auffangarealen für Flüchtlinge und Vertriebene, welche sie zeitweilig auch mit Displaced Persons teilten. Aus einigen dieser Lager entstanden später Wohnsiedlungen.

Als flexible, rasch zu erbauende und wieder zerlegbare Provisorien waren Nissenhütten und Baracken vielen Vertriebenen eine erste Bleibe, die ab Anfang der 1950er Jahre häufig durch Reihenhäuser ersetzt wurden.

Im Lager folgte der Ersterfassung eine ärztliche Untersuchung. Räumliche Enge, mangelhafte hygienische Verhältnisse, Seuchengefahr und eine schwierige Versorgungslage mit Lebensmitteln, Heizmaterial und Kleidung dominierten den Lageralltag.

Durchgangslager für Heimatvertriebene in Hof (Bayern), 1946/1947.

© bpk - Bildagentur für Kunst, Kultur und Geschichte / Foto: Hermann Weishaupt

Lagerordnung des Durchgangslagers Gießen, August 1950.

© Bundesarchiv, Bild F000065-3041 / Foto: Arntz

Frauen und Kinder in einem Flüchtlingslager in Bayern, zwischen 1945 und 1949.

© Süddeutsche Zeitung Photo / Foto: Amerika Haus

Alltag im Flüchtlingslager, 1951. Vor einer Nissenhütte hängt die Wäsche zum Trocknen. Der Name dieser Blechbaracken geht zurück auf den kanadischen Ingenieur Peter Norman Nissen, der sie im Ersten Weltkrieg für die britische Armee entwickelte. Die Wellblechhütten mit halbrundem Dach hatten vierzig Quadratmeter Grundfläche. Oftmals wohnten zwei bis drei Familien in einer Hütte.

© Süddeutsche Zeitung Photo / Foto: Ursula Röhnert

Bunkerwohnung des Lagers Empelde, Mai 1948. Nur durch Decken sind die einzelnen Familien in den Bunkerwohnungen voneinander abgetrennt.

© bpk - Bildagentur für Kunst, Kultur und Geschichte / Foto: Wilhelm Hauschild

Neue Unterkünfte im Sozialwerk Stukenbrock, 1960. Aufgrund des nicht abreißenden Zuzugs von Flüchtlingen fehlten Ende der 1950er Jahre vor allem zeitgemäße Unterkünfte und es wurden neue Wohngebäude in Plattenbauweise errichtet. Damit wichen auch die mit Kohle beheizten Kanonenöfen zunehmend einer Zentralheizung. Die Nissenhütten wurden nach und nach abgerissen, Baracken gab es nur noch in geringer Zahl.

© Archiv Gerd Plückelmann / Foto: Ernst Lohöfener

Die Probleme wurden immer größer. Bald gab es kein fließendes Wasser mehr; wir mussten kilometerweit laufen, um eine Kanne Trinkwasser aus einer Pumpe zu schöpfen. Auch die Toiletten waren ständig verstopft. Darmkrankheiten blieben so nicht aus. Die Melde am Wegrand wurde unser begehrtestes Nahrungsmittel. Wir kochten sie wie Spinat."

Ursula Wellner (*1926)
in: Jürgen Kleindienst: Nichts führt zurück. Flucht, Vertreibung, Integration 1945-1955. 29 Zeitzeugen-Erinnerungen, Berlin 2008.

Die Unterbringung war alles andere als komfortabel. Wir wurden in Wellblechbaracken gepfercht. In den Hütten war eine Luft wie im Backofen. [...] Es war der 14. Juli 1946, wohl einer der heißesten Tage des Jahres. Mit wie vielen Menschen wir in eine der kargen Baracken kamen, weiß ich nicht mehr. Als Lagerstatt wurden uns flache, mit Stroh ausgelegte Holzpritschen zugewiesen. Die Erwachsenen jammerten oder weinten sich in einen unruhigen Schlaf. Mein Bruder Manni und ich krochen eng zusammen, aber wegen des piekenden Strohs konnten auch wir kaum schlafen."

Erica Weber
in: Willy Diercks: Flüchtlingsland Schleswig-Holstein. Erlebnisberichte vom Neuanfang, Heide 1997.

Der etwa 100 qm große Saal der [...] Gastwirtschaft war anfangs mit ca. 100 Personen, meist Frauen, Kinder[n] und alten Leuten belegt. Der Saal war lediglich mit Stroh aufgeschüttet worden. Matratzen oder gar Bettgestelle waren nicht vorhanden. So suchten sich die Familien jeweils einen kleinen Fleck, wo sie die wenigen geretteten Habseligkeiten aufstellten und sich zum Schlafen nieder-legten. Die sanitären Verhältnisse waren mehr als mangelhaft, da den Leuten nur zwei Toiletten zur Verfügung standen, welche aufgrund der starken Beanspruchung oft verstopft waren. Verpflegt wurden die Leute in den ersten Monaten vom Further Lazarett aus, nach dem Kriegsende dann von der UNRRA-Küche im Further Zollhaus. Da anfangs keine Herde oder Öfen aufzutreiben waren, hatten die Flüchtlinge keine Möglichkeit, sich selbst etwas zu kochen oder den Saal ausreichend zu beheizen."

(UNRRA: United Nations Relief and Rehabilitation Administration) Jutta Hauser (*um 1926)
in: Susanne Maier: Grenzdurchgangslager Furth im Wald 1946-57, Stamsried 1999.

Mein Antrag auf Zuzugsgenehmigung im Jahre 1951 an das Wohnungsamt der Kreisstadt, wo ich inzwischen Arbeit gefunden hatte, lautete u. a.: 'Ich wohne z. Zt. in einem Dorf in einer unheizbaren Kammer - ohne ausreichende Tagesbeleuchtung - in einem Anbau schräg über einem Schweinestall neben einem Hühnerstall. [...] Ich bitte mein Gesuch zu befürworten, weil ich bereits dem vierten Winter unter derartigen Verhältnissen entgegensehe und das auf die Dauer gesundheitlich nicht ertragen kann.'"

Karl-August Scholtz
in: Zeitzeugen. Mitteilungsblatt der Zeitzeugenbörse Hamburg, 20 (2003).

Die Lebensumstände in Durchgangs- und Aufnahmelagern

Bevor die Flüchtlinge Sammelunterkünfte oder Privatquartiere beziehen konnten, stand die administrative und medizinische Registrierung in Aufnahme- und Durchgangslagern an. Ohne Kontrolle und Erfassung der persönlichen Daten, die amtsärztliche Untersuchung sowie Desinfektion und Entlausung durfte das Lager nicht verlassen werden. Gewicht, körperliche Verfassung und klinische Befunde bestimmten die Einstufung in die Lebensmittelkarten-Kategorien und den Anspruch auf Zulagen, etwa bei Schwangeren und Schwerarbeitern. Auch die Berufsqualifikationen wurden ersterfasst.

Von 1945 bis 1949 lebten die meisten Flüchtlinge in Lagersituationen und in räumlicher Enge. Als besonders bedrückend wurde der Mangel an Privatsphäre empfunden. Als Sichtschutz dienten Laken oder Säcke, Stroh ersetzte häufig Matratzen. Eiserne Bettgestelle wurden als Raumteiler aufgestellt. Besonders die Lautäußerungen von Traumatisierten und Kranken oder das Weinen von Kleinkindern wurden als belastend empfunden. 

Oft bestimmte Hunger den Alltag. Brot, Kartoffeln, Fett und Tee wurden als Tagesrationen zugeteilt und reichten bei weitem nicht, um den täglichen Kalorienbedarf zu decken. In den Wintern 1946 und 1947 war die Hungersnot besonders groß. Nach Schätzungen starben über 200.000 Menschen durch Kälte und Unterernährung.

Flüchtlingsfamilie in einer Baracke des Minerva-Lagers in Schleswig, 1946.

© Landesarchiv Schleswig-Holstein / Foto: Prien / Signatur: Abt. 2003.1 Nr. 2444

Speiseplan im Durchgangslager Gießen, 31. August 1950.

© Bundesarchiv, Bild F000065-3046 / Foto: Arntz

Frauenbaracke im Flüchtlingslager Pöppendorf bei Lübeck (ohne Datum).

© St. Annen-Museum für Kunst und Kulturgeschichte der Hansestadt Lübeck - Bildarchiv

Untersuchung von Flüchtlingskindern im Durchgangslager Gießen, August 1950.

© Bundesarchiv, Bild F000065-3069 / Foto: Arntz

Ein verrosteter Autoanhänger dient als Notunterkunft für Flüchtlinge (ohne Datum).

© bpk - Bildagentur für Kunst, Kultur und Geschichte / Foto: Roeder

Flüchtlinge versuchen ihr Lager zu verschönern, um 1948. Bewohnerinnen des Flüchtlingslagers in Ruhpolding in Bayern legen selbst Hand an für notwendige Bau- und Ausbesserungsarbeiten.

© bpk - Bildagentur für Kunst, Kultur und Geschichte / Foto: Bernd Lohse

Befreiung von Ungeziefer, 28. Februar 1946. Flüchtlingslager im ehemaligen Bunker in der Fichtestraße in Berlin-Kreuzberg. Um die Kinder in den Lagern von Ungeziefer zu befreien, wurden sie mit DDT-Puder desinfiziert, einem äußerst giftigen Stoff, der heute in Deutschland verboten ist.

© Sudetendeutsches Archiv München

Ein Flüchtlingskind in einem Lager bei München, 1948. Die unpassende Kleidung des Jungen macht die außerordentliche Armut der Flüchtlinge deutlich.

© bpk - Bildagentur für Kunst, Kultur und Geschichte / Foto: Bernd Lohse

"Umsiedler" in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ)

Aufgrund ihrer geographischen Lage waren in der SBZ die meisten Flüchtlinge und Vertriebenen gestrandet. Sie stellten 1945/46 fast ein Viertel der Gesamtbevölkerung. Die SBZ war sowohl Transit- als auch Aufnahmezone.

Die Sowjetische Militäradministration (SMAD) gründete bereits im September 1945 eine Zentralverwaltung für deutsche "Umsiedler". Dieser Terminus suggerierte, dass keine völkerrechtswidrigen Vertreibungen stattgefunden hatten, sondern ein zivilisierter Umzug mit dem Ziel, die Betroffenen dauerhaft anzusiedeln.

Durch frühe karitative Maßnahmen sollte den Neubürgern die Eingliederung erleichtert werden. Insbesondere bei der Zuteilung von Wohnraum ging die sowjetische Besatzungsmacht wesentlich rigoroser vor als die Westalliierten. Die Bodenreform von 1945/46 und das Neubauernprogramm von 1947 stellten erste Anstrengungen zur Umverteilung von Grund und Boden dar. Bereits im Herbst 1946 hatte die SMAD zudem eine einmalige finanzielle "Umsiedlerunterstützung" angeordnet. Während es einerseits diese frühen Hilfestellungen gab, wurden andererseits unliebsame Bezüge zur früheren Heimat streng geahndet. Mit der Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als endgültige Westgrenze Polens durch das Görlitzer Abkommen vom 6. Juli 1950 konnten keine Rückkehrillusionen mehr gehegt werden.

Bodenreform in der Mark Brandenburg, 1945. Auf Gut Kränzlin bei Neuruppin schreitet eine Vertriebenenfamilie ihr neu erhaltenes Feld ab.

© Deutsches Historisches Museum, Berlin / Foto: Gerhard Gronefeld

Einquartierung von Vertriebenen im Schloss Kartlow bei Greifswald, Juli 1949.

© bpk - Bildagentur für Kunst, Kultur und Geschichte / Foto: Herbert Hensky

Umsiedlerunterkunft in einem Kellerraum des Schlosses Kartlow bei Greifswald, Juli 1949.

© bpk - Bildagentur für Kunst, Kultur und Geschichte / Foto: Herbert Hensky

Unterkünfte für Vertriebene neben dem Chemiefaserwerk in Premnitz (Brandenburg), Oktober 1949.

© bpk - Bildagentur für Kunst, Kultur und Geschichte

Vertriebene beim Hausbau in Gorgast (Oderbruch), zwischen 1945 und 1947. Auf einem selbst gezimmerten Schlitten wird von den Vertriebenen der Kalk für den Hausbau transportiert.

© Deutsches Historisches Museum, Berlin / Foto: Gerhard Gronefeld

Plakat aus der Sowjetischen Besatzungszone, 1946. "Nehmt sie in Eurer Mitte auf! Helft den Umsiedlern!"

© Deutsches Historisches Museum, Berlin

Erste Ausgabe der Monatszeitschrift für Umsiedler "Die neue Heimat", Berlin, Mai 1947. Die Zeitschrift entstand bei der Zentralverwaltung für deutsche Umsiedler im sowjetischen Okkupationsgebiet in Berlin. Redakteur war Michael Tschesnow.

© Deutsches Historisches Museum, Berlin

Broschüre zur Frage des Umsiedlerproblems, 1947. Die Publikation von Paul Merker (1894-1969) "Die nächsten Schritte zur Lösung des Umsiedlerproblems" (Berlin 1947) wurde vom Zentralsekretariat der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) herausgegeben. Merker, der damalige Minister für Umsiedlerfragen, äußerte sich darin zu den drängenden Fragen: Wohnraum, Finanzausgleich und ideologische Anbindung.

© Privatarchiv kmt-ausstellungen GbR

Flüchtlinge in Dänemark

Am Ende des Zweiten Weltkrieges flüchteten etwa eine Viertelmillion Deutsche aus den Ostgebieten nach Dänemark. Die erste Flüchtlingswelle erreichte das seit 1940 von deutschen Truppen besetzte Land bereits im Februar 1945. Nach der Ankunft wurden die Flüchtlinge zunächst in Wehrmachtslagern und Lazaretten untergebracht und notdürftig versorgt. Die deutschen Besatzungsbehörden beschlagnahmten außerdem öffentliche Gebäude wie Schulen und Hotels und funktionierten sie zu Flüchtlingsunterkünften um. Im Mai 1945 befanden sich etwa 230.000 deutsche Flüchtlinge auf dänischem Boden. Unter den Vertriebenen herrschte Mangelernährung, medizinische Unterversorgung und eine hohe Todesrate von Kindern. Die öffentliche Meinung war gespalten, die einen forderten die Unterstützung der Hilfsbedürftigen, die anderen kritisierten die Gutmütigkeit gegenüber den ehemaligen Besatzern. Das Ziel der dänischen Flüchtlingspolitik war, die "ungeladenen Gäste" loszuwerden.

Die Alliierten verboten jedoch ihre Aufnahme in Deutschland. Die dänischen Behörden internierten die Flüchtlinge in bewachten Lagern. Der Kontakt zur einheimischen Bevölkerung war streng untersagt. Stattdessen wurden die Flüchtlinge in der Pflege der deutschen Sprache und Kultur unterstützt. Diese Maßnahmen sollten ihr Einleben in Dänemark verhindern. Im Laufe des Jahres 1946 erlaubte zunächst die Britische Besatzungszone die Einreise, ab 1947 auch die anderen Zonen. Bis 1949 gab es über 460 Flüchtlingslager in Dänemark.

Ankunft eines Zuges mit Flüchtlingen aus Kolding (Dänemark) in Schleswig-Holstein, 1946.

Ankunft eines Zuges mit Flüchtlingen aus Kolding (Dänemark) in Schleswig-Holstein, 1946. Ab November 1946 durften die ersten Flüchtlinge über das zentrale Durchgangslager in Kolding in die Britische Besatzungszone ausreisen. Wer eine Unterkunft bei Freunden oder Verwandten in den Westzonen nachweisen konnte, erhielt einen Personalausweis für die Einreise nach Deutschland. Im Juli 1947 lebten nach offiziellen dänischen Zählungen noch immer 183.000 Deutsche in 142 Lagern in Dänemark. Der letzte Flüchtlingszug verließ Dänemark am 15. Februar 1949.

© Kreisarchiv Schleswig-Flensburg

Mythos: Angekommen?

Nach den dramatischen Erlebnissen bei der Vertreibung und den Zwangswegen über die Durchgangslager sind die Entwurzelten an den verschiedensten Orten der vier Besatzungszonen zumindest physisch angekommen. Doch das Gefühl, auch mental ?angekommen? zu sein, stellte sich in den ersten Nachkriegsjahren bei den Wenigsten ein. Alliierte Zuzugsverbote in zerstörte Großstädte und deren Umgebung förderten den Eindruck einer repressiven Behandlung. 

Gegenseitige Abneigung zwischen Alt- und Neubürgern entstand anfangs vor allem durch die nicht absehbare Dauer des engen Zusammenlebens und durch Abhängigkeitsverhältnisse. Akuten Zündstoff boten enge Zwangsgemeinschaften aufgrund von mangelndem Wohnraum, der Lebensmittelknappheit und der für viele Vertriebene berufsfremden Arbeit. Vorurteile gegenüber Herkunft, Dialekt sowie kulturellen Eigenheiten der Vertriebenen waren weit verbreitet. 

Nur langsam konnten Konflikte und Ressentiments zwischen Angekommenen und Alteingesessenen, die auch nachfolgende Generationen prägten, aus dem Weg geräumt werden. Staatliche Unterstützung, der gemeinsame Schulbesuch, untereinander geschlossene Ehen und der wirtschaftliche Aufschwung bauten Spannungen langsam ab.

Karikatur zur Überfüllung des Wohnraums im zerstörten Kassel, Hessische Nachrichten vom 15. Dezember 1945.

Karikatur zur Überfüllung des Wohnraums im zerstörten Kassel, Hessische Nachrichten vom 15. Dezember 1945. Traum eines Flüchtlings: "Kommen Sie zu uns!" - "Zu uns!" - "Nein zu uns!" - "Sie können es wirklich glauben, für Sie haben wir immer noch ein Plätzchen!" Egon von Tresckow (1907-1952), aufgewachsen in Niederschlesien, arbeitete seit 1927 in Berlin als Pressezeichner, später auch als Trickfilmzeichner für die UFA. Nach dem Krieg zeichnete er vor allem für die Hessischen Nachrichten.

© Peter von Tresckow / Zeichnung: Egon von Tresckow

Zuzugssperre für Bremen, 1946. Diese Tafel wurde am 2. Juli 1945 vom Flüchtlingsamt am Hauptbahnhof in Bremen aufgehängt, da die Stadt zu sechzig Prozent in Trümmern lag.

© Staatsarchiv Bremen / Foto: Karl Edmund Schmidt

Fastnachtsumzug im badischen Lahr, Ende der 1940er Jahre. Verkleidete Männer tragen ein Plakat mit einer Parole gegen Flüchtlinge: "Badens schrecklichster Schreck, der neue Flüchtlingstreck!!!"

© Stadtarchiv Offenburg

Plakat zum Zuzugsverbot nach Düsseldorf, 1945. Diese Bekanntmachung wurde unterzeichnet von Oberbürgermeister Dr. Wilhelm Füllenbach (19. April - 20. September 1945).

© Stadtarchiv Düsseldorf

Die Vertriebenen. Zeichnung von Otto Herrmann, 1955.

© Haus der Geschichte Baden-Württemberg, Stuttgart

Wenn wieder zu hören war, dass noch einige Flüchtlinge kommen sollten, hieß es: 'Es kommen noch mehr Polacken.' Eigentlich waren wir ja auch Deutsche und kamen aus Deutschland, nur eben aus dem Osten von Deutschland."

Ingetraud Lippmann
in: Zeitzeugen. Mitteilungsblatt der Zeitzeugenbörse Hamburg, 42 (2010)

Ich war vierzehn Jahre alt, als wir [...] am 26. Mai 1946 in Unterelchingen ankamen. [...] Wir sollten zu einer Frau ohne Kinder ziehen. Als wir jedoch mit sieben Personen anrückten, hat sie uns nicht hereingelassen. Da saßen wir den ganzen Tag ratlos und verzagt auf der Kirchentreppe [...]. Um fünf Uhr kam der Bürgermeister und schickte uns zu einer armen Familie, die bereits Kinder hatte. Sie musste noch enger zusammenrücken und uns ein Zimmer und einen kleinen Schlauch als Küche abtreten. Doch diese Familie war freundlich und hätte ihr letztes Brot mit uns geteilt."

Hilde S. (*1932)
in: Helga Hirsch: Schweres Gepäck. Flucht und Vertreibung als Lebensthema, Hamburg 2004.

Und wir lebten dann bis Anfang der 50er Jahre in diesem Dorf. Das ist ein kleines Dorf, Eggersdorf-Dondorf, [...] sechs Kilometer von Bayreuth. Das war natürlich alles nicht so einfach, weil, das war ein kleiner Bauer mit vier Kühen und der hatte ein kleines Haus und die mussten uns den oberen Stock abgeben und ungeheuer zusammenrücken. Aber diese Menschen haben uns gut behandelt. [...] Naja, es gab gelegentlich Kämpfe Flüchtlinge gegen Einheimische. Also ich war ja nun ein kleiner Bub und ich ging in die Schule und, eh, irgendwann haben sie mir die Zähne da eingeschlagen im Schwimmbad [...]. Aber, Gott, das war, also, wie es immer war. [...] [Es] gab gar kein Geld und es gab auch keine, keine Spielsachen. Als ich irgendwann im Jahr '46 einen nicht springenden Stoffball bekam, war das ein ungeheures Geschenk."

Peter Glotz (1939-2005) aus dem Sudetenland
in: Zeitzeugenvideo (Mitschrift) für die Bayerische Landesausstellung "Bayern - Böhmen. 1500 Jahre Nachbarschaft" des Hauses der Bayerischen Geschichte, 2007.
Prof. Peter Glotz war sozialdemokratischer Politiker und seit 2000 einer der beiden Vorsitzenden der Stiftung "Zentrum gegen Vertreibungen".

Ein wichtiger Punkt, eine wichtige Voraussetzung bestand sicherlich auch darin, dass sich keiner von uns der Illusion hingegeben hat, man könnte mal wieder zurückkehren. Wir waren hierher verschlagen worden und wussten, hier müssen wir weiterleben. Da kann man sich nicht ständig als Fremdkörper stilisieren. [...] Und im Übrigen - ich muss mich wiederholen - wir sind froh und wir sind dankbar, dass wir gerade hierher gekommen sind nach Bayern, vom Föhn einmal abgesehen. Es lebt sich gut in Bayern, das haben unsere Leute sehr bald gemerkt und ich glaube, die Bayern haben auch gemerkt, dass sie es nicht nur mit den Habenichtsen zu tun haben, als die wir halt einmal hergekommen sind."

Otfried Preußler (*1923) aus Nordböhmen
in: Zeitzeugenvideo (Mitschrift) für die Bayerische Landesausstellung "Bayern - Böhmen. 1500 Jahre Nachbarschaft" des Hauses der Bayerischen Geschichte, 2007.
Otfried Preußler ist ein bekannter deutscher Kinderbuchautor.

Bald bekam ich Arbeit in einer Ankerwickelei, zusammen mit einem Mädchen, das ebenfalls aus Pommern stammte. Am ersten Arbeitstag, es war der 10. Oktober 1947, fragte man uns, warum wir denn hergekommen seien, die Leute hier hätten selbst nichts zu essen, wir würden ihnen noch das letzte bißchen wegnehmen. Da liefen uns die Tränen. Wie gern wären wir zu Hause geblieben!"

Gisela Bertl (*1928) aus Pommern
in: Jürgen Kleindienst: Nichts führt zurück. Flucht, Vertreibung, Integration 1945-1955. 29 Zeitzeugen-Erinnerungen, Berlin 2008.

Ich habe sehr schlechte Erinnerungen an unsere erste Familie, bei der wir eingewiesen waren. Es gab einen abschätzenden Blick und kein freundliches Wort: 'Na ja - wir müssen euch ja aufnehmen.' Sie besaßen einen Bauernhof, hatten also keine Not zu leiden. Auf die Idee, mir als Kind einen Becher Milch abzugeben [...], kamen sie nicht. Es tat weh, wenn wir an dem vollgedeckten Tisch vorbeigehen mußten. Ich habe bis heute noch Haßgefühle in mir, wenn ich daran denke, wie diese Familie mich und meine Mutter behandelt hat. Hier hielten wir es nicht sehr lange aus, wir bemühten uns um eine andere Unterkunft. Zum Glück klappte dies. Wir konnten es nicht fassen, welch ein Unterschied zwischen diesen beiden Familien war. [...] Wir wurden nicht als Menschen zweiter Klasse behandelt."

Helga Eggert aus Pommern
in: Willy Diercks: Flüchtlingsland Schleswig-Holstein. Erlebnisberichte vom Neuanfang, Heide 1997.

Und da hab' ich gesagt: 'Ja, wir sind hier eingewiesen, wir sollen hierhin kommen.' 'Wir brauchen keine Zigeuner, macht, daß Ihr wegkommt, ich hol' schon meinen Mann vom Feld!' [...] Nun saßen wir da. Es wurde Abend, Nacht [...], und Bauern, die brachten Milch, [...] die hatten Mitleid mit uns."

Frau T. aus Schlesien
in: Klaus J. Bade et al.: Zeitzeugen im Interview. Flüchtlinge und Vertriebene im Raum Osnabrück nach 1945, Osnabrück 1997.

Obwohl man also immer wieder zu spüren kriegte, Flüchtlinge, also das war also die erste Zeit doch ein sehr bitteres Wort. [...] In der Schule die Kinder und so, die haben da sehr drunter gelitten, Flüchtlinge, das war also ein sehr sehr böses Wort, das ist sehr viel gefallen, die erste Zeit. [...] [Wenn] meine Brüder, die kleenen alle nach Hause kamen und so, oft genug, daß sie geheult haben. 'Heut´ hat der mich verhauen', 'Du doofer Flüchtling' und 'Du Rucksackdeutscher' - das war für die doch schon eine harte Zeit."

Frau F. (*1931) aus Schlesien
in: Klaus J. Bade et al.: Zeitzeugen im Interview. Flüchtlinge und Vertriebene im Raum Osnabrück nach 1945, Osnabrück 1997.

Der Sohn erschrak. Da standen sie, ärmlich in zu weit gewordene Mäntel gekleidet. Die Mutter verhärmt. Seinen Velourshut hatte der Vater übers Kriegsende hinweggerettet. Die Schwester ohne Zöpfe, kein Kind mehr. [...] Wir umarmten einander unter Wiederholungszwang. Keine oder nur hilflose Wörter. Zuviel und mehr als sich sagen ließ, war im Verlauf einer Zeit geschehen, die ohne Anfang war und keinen Schlusspunkt finden konnte. Manches kam erst viel später, weil zu schrecklich, oder gar nicht zu Wort. Mehrmals erlittene Gewalt hatte die Mutter verstummen lassen. Sie war gealtert, kränkelte bereits. Wenig war von ihrer Heiterkeit und Spottlust geblieben. Und dieses klapprige Männlein sollte mein Vater sein? Er, der sich stets selbstsicher und stattlich um Haltung bemüht gegeben hatte?"

Günter Grass (*1927) aus Danzig
Schilderung der ersten Begegnung mit seinen aus Danzig geflüchteten Eltern nach dem Krieg,
zit. nach: Dokumentation Tag der Heimat 2008, Festakt des Bundes der Vertriebenen in Berlin, 6. September 2008.